Vom unsichtbaren Himmel-Monster, Leben und der Musik. Ein Gespräch mit Nathan Gray von I Am Heresy und Boysetsfire.

Nathan Gray. Frontmann bei I Am Heresy und Boysetsfire,
Samstagabend, vor der Show von I Am Heresy im Zwölfzehn in Stuttgart traf ich mich mit Nathan Gray im Tourbus von I Am Heresy, und wir sprachen eine halbe Stunde über das Leben, Gott und den Teufel als Symbolismen. Worüber sollte man sich zwischen zwei christlichen Feiertagen denn sonst unterhalten? Natürlich auch die Musik seiner zwei Bands I Am Heresy und Boysetsfire. Im Gespräch erfuhr ich, dass die Ideologie seiner neuen Truppe ein wichtiges Kriterium war, um die fünf Musiker zusammen zu bringen. Deshalb sprachen wir intensiv über seine spannende Weltanschauung und den tieferen Sinn der Songs auf der neuen EP "O Day Star, Son Of Dawn."



MIM: Ideologie spielt also eine große Rolle für Dich. Worin unterscheiden sich die Inhalte deiner beiden Bands? Bei Boysetsfire geht es mehr um Politik und bei I Am Heresy um Religionskritik?

Nathan: "Hauptsächlich, ja. Verstehst Du, ich kam auf den Gedanken, dass wenn ich über Politik rede, ich eigentlich einen Schritt auslasse. Nämlich wenn du über Politik redest, redest du vom Kampf gegen schreckliche Autoritätsfiguren und so lange es immer noch Menschen auf dieser Welt gibt, die sich Autoritätsfiguren ausdenken, macht das alles doch eigentlich keinen Unterschied. Verstehst Du was ich meine?

MIM: Ja, verstehe ich.

Nathan: "Also hatte ich das Gefühl, dass I Am Heresy notwendig war um über die Wurzel allen Übels reden zu können. Eben das Problem, dass Menschen offensichtlich immer noch eine Autoritätsperson benötigen, die ihnen sagt was richtig und falsch ist, selbst wenn sie sich diese Person auch noch ausdenken müssen. Man könnte sich auch einfach ein Set aus Wertvorstellungen und Moral zusammenschustern und danach leben. Dazu muss ich mir doch kein unsichtbares Himmel-Monster ausdenken."

MIM: Also im Grunde: Es ist leichter an sich selbst zu glauben, als irgendwo anders etwas zu suchen, das einem diesen Glauben gibt?

Nathan: "Ja, anstatt alle guten Dinge Gott zuzuschreiben und alle schlechten Dinge dem Teufel zuzuschieben - warum nicht einfach erkennen, dass die Natur ist was sie ist? Verstehst Du, das ist doch viel simpler."

MIM: (Da haken wir später noch einmal ein, sprechen wir erst einmal über Musik.) Wie kamen denn die Songs für das erste "I Am Heresy"-Album zusammen? 

Nathan: Die Songs zum ersten Album waren allesamt in einem Monat geschrieben, zusammen mit Jona und Simon. Jona ist der Sohn von Josh von Boysetsfire, er war aber nicht lang in der Band, er wollte dann andere Dinge machen.

MIM: Und ziemlich schnell danach folgte schon die neue EP?

Nathan: "Eigentlich über haupt nicht. Da war ein ganzes Jahr dazwischen. Das kapieren viele nicht. Das liegt eben daran, dass das Debütalbum in Europa viel später erschien als es fertig war."

MIM: Ja genau. Ich frage, weil ich eine Rezension gelesen habe, in der der Typ die EP nicht mochte, weil er dachte es wären halt Überbleibsel von dem Album gewesen.

Nathan: "Das ist ja gerade das Problem mit manchen Schreibern, die ihre Hausaufgaben nicht machen und sich nicht die Zeit nehmen Dinge zu verstehen. Und dann stülpen sie ihre Meinung über den Scheiß ohne zu wissen über was zum Henker sie da gerade sprechen."

MIM: Stimmt, deshalb habe ich auch noch keine Review zur EP geschrieben, da mir Mirko [von Uncle M] das Interview angeboten hatte. So wollte ich die Gelegenheit nutzen, um Dich zu fragen was es mit der EP auf sich hat.

Nathan: "Das ist fair. So sollte es eigentlich immer sein. Falls du schon ein Review schreibst, egal ob du die Platte dann hasst oder liebst, solltest du wenigstens gut darüber informiert sein."

MIM: (Eine Frage die mir unter den Nägeln brennt) Also ist I Am Heresy definitiv mehr als nur ein Nebenprojekt?

Nathan: "Auf jeden Fall. Boysetsfire und I Am Heresy sind eben zwei Dinge die ich mache. Ich liebe sie beide gleichermaßen und sie sind beide Dinge die ich weiterhin machen will. Aber Boysetsfire wird eben niemals mehr eine Vollzeit-Band sein können. Das liegt eben daran, dass nun jeder beteiligte auch richtige Jobs und Leben hat. So wird es kein Vollzeit-Projekt sein können."

MIM: Und Du brauchst einfach ein Vollzeit-Projekt?

Nathan: "Brauche ich. Ich meine, wenn ich es nicht hätte, würde ich meinen Verstand verlieren. Deshalb wird I Am Heresy in Zukunft auch einen großen Schub bekommen, sodass es eine Vollzeit-Band werden kann, die ich immer haben möchte."

MIM: Also benötigst Du diese Bands eben um deine Gedanken raus in die Welt zu bekommen?

Nathan: "Musik und Live-Shows sind für mich quasi meine Art Therapie-Couch. So kann ich quasi da sitzen und meine Probleme und Gedanken zu Dingen an die ich glaube raussingen und rausbrüllen. Und so schaffe ich es eben ein gesunder und fröhlicher Mensch zu bleiben."

MIM: Das ist toll. Viele Leute, die die Szene eben nicht kennen, begreifen ja oft nicht, dass man durch harte, laute Musik ein fröhlicherer Mensch sein kann.

Nathan: "Ja, was diese Leute nicht verstehen ist, dass viele Menschen die depressiv sind, gerade beim Hören solcher Musik für einen kurzen Moment das Gefühl bekommen, dass sie verstanden werden. Und darauf können sie dann aufbauen und sich mit ihren Problemen auseinandersetzen und über diese Probleme hinaus wachsen und wieder ein gesundes und fröhliches Leben führen. So gehen halt gesunde Menschen damit um, sie befassen sich eben mit ihren Problemen."

MIM: Also brauchst Du diese Musik, und Dir wird das sicherlich auch nie zu langweilig? Es gibt niemals den Moment in dem Du denkst: Ach, verdammt schon wieder Band-Probe?

Nathan: "Klar gibt es diese Momente. Es gibt immer mal wieder diese Zeiten, in denen man sich einfach nicht motivieren kann. Aber im Endeffekt ist es das immer wert. Sobald man sich seiner fehlenden Motivation hingibt, fängt man an zu sterben. Dabei kommt es nicht darauf an ob du in einer Band spielst, oder was auch immer deine Liebe oder Leidenschaft ist. Wenn du diese Leidenschaft nicht findest, und du dir dafür nicht manchmal den Arsch abarbeitest, dann fängst du an langsam zu sterben. Ohne diese Leidenschaft, gibt es kaum einen Grund hier zu sein.

MIM: Kommen wir also wieder auf dieses Ideologie-Ding zu sprechen. Gibt es einen Unterschied zwischen Boysetsfire und I Am Heresy? Geht es bei Boysetsfire mehr um Politik, und mit I Am Heresy fängst Du an der Wurzel des Problems an, nämlich bei den Religionen?

Nathan: "Es gibt viele Unterschiede zwischen Boysetsfire und I Am Heresy. Nicht nur die Thematiken, die damit zu tun haben. Mit I Am Heresy kann ich freier mit meiner eigenen Meinung umgehen. Bei Boysetsfire gibt es viele verschiedene Meinungen, und ich sag das nicht um Boysetsfire schlecht zu reden. Es ist nun mal einfach so. Und das akzeptiere ich. Dort hat jeder unterschiedliche Ansichten. Nur Chad und ich könnte man als Atheisten oder Antitheisten betiteln. Alle anderen sind Christen. Sie sind dabei jetzt keine schrecklichen Menschen, aber sie haben eben ihre Meinung, und die ist dass es einen Gott gibt und bla, bla, bla. Und in dieser Band muss ich das halt respektieren. Deshalb würde ich bei Boysetsfire zwar kritische Texte gegenüber des Missbrauchs von Religionen schreiben, aber ich würde niemals schreiben, dass es keinen Gott gibt. Und bei I Am Heresy habe ich diese Freiheit. Hier sind wir von der Ideologie her alle so ziemlich auf der selben Seite. Außerdem gibt es ja noch die offensichtlichen musikalischen Unterschiede. Boysetsfire ist bekannt für seine melodischen Rock-Songs und nicht gerade bekannt für seine harten Lieder."

MIM: Nur die alten Boysetsfire-Fans erinnern sich an die harten Songs.

Nathan: "Ich weiß, dass auch Leute die harten Songs lieben und die werden wir auch immer machen. Aber in echt ist Boysetsfire halt für die melodischen Rocksongs bekannt. Versteh mich nicht falsch, ich liebe diese Songs auch. Aber ich brauche eben auch eine Band die diese Energy und Brutalität hat wie I Am Heresy."

MIM: Also werden die neuen Boysetsfire-Sachen mehr melodisch sein?

Nathan: "Nein, nicht unbedingt."

MIM: Also erzwingt ihr da keine Marschrichtung?

Nathan: "Nein, da sind sich Boysetsfire und I Am Heresy ähnlich. Wir erzwingen eigentlich nie etwas. Es ist immer so wie es eben raus kommt. Das neue Boysetsfire-Album wird ähnlich wie "Misery Index" sein. Es wird diese tollen Rock-Balladen, diese melodischen Rock-Songs geben. Aber auch der harte Scheiß wird seinen Weg auf die Platte finden. Die meisten unserer Zuhörer lieben eben die melodischen Songs, und die harten Titel spalten die Fans in zwei Lager. Manche lieben sie, manche scheinen sie zu hassen. Und zu einer I Am Heresy Show kommst du halt wegen dem harten Scheiß."

MIM: Als ich mir das I Am Heresy Album das erste mal anhörte war ich überrascht, denn ich hatte nicht erwartet, dass überhaupt Akustik-Klänge und gesungene Melodien darauf wären.

Nathan: "Ja da wird es eben auch immer diese Sachen geben. Die sind aber halt immer noch viel düsterer und passen so ganz gut in den harten Kern der Sache hinein. Außerdem würde ich es hassen in einer Band zu sein, die sich immer wiederholt. Kennt man ja von Boysetsfire. Das würde mich verrückt machen. Verstehst du, es braucht diese Wellen, diese, wie sagt man, Dynamik. Wenn du keine Dynamik hast dann geht jeder Song Brrrrbrbrbrbrbrbprpfrbrbr [klopft mit den Händen auf den Vordersitz] und das wäre einfach nur Langweilig. Jeder Song würde gleich klingen, und warum dann überhaupt das Ganze machen?

MIM: Auf dem Debütalbum kommt direkt nach diesem quasi Theme-Song "I Am Heresy" dieser total rühige Titel. Das hat mich ganz schön verwirrt, beim ersten Hören.

Nathan: "Ja diese Sachen machen wir ganz gerne. Die Sache mit dem Song "I Am Heresy" ist aber folgende. Ich scherze ja immer gerne, dass wir einfach zu unkreativ sind wenn es um Namensgebung der Songs geht. In echt hieß die Band zunächst Characteristcs Of A Housefly, und das ist einfach ein Scheiß-Name. Und als ich mit meiner damaligen Freundin, jetzt Verlobten, im Urlaub auf Hawaii war, rief Greg (Crumbs), unser Drummer, mich an und sagte, Alter unser Name saugt. Ich antwortete, ja Mann ich weiß. Er daraufhin meinte warum heißen wir nicht einfach I Am Heresy, das ist ein super Name für eine Band. Zudem war das eben der erste Song den wir zusammen schrieben, da war uns dann auch egal das einer unserer Songs schon so hieß. So kamen wir dann zu diesem Bandnamen."

MIM: Also war es so rum, und nicht umgekehrt. Wenn Du anfängst zu scheiben, hast Du dann immer schon ein übergeordnetes Thema?

Nathan: "Ja, immer. Die neue EP "O Day Star, Son Of Dawn" dreht sich um den Archetyp und Symbolismus von Luzifer. Nun einer art Weltanschauung die wir atheistischen Satanismus nennen könnten. Anton LeVay [der Verfasser der 1968 erschienen, ersten satanischen Bibel] und so. Alle diese Dinge sind nur Symbolismen. Ich meine bei uns glaubt niemand an Gott und schon gar nicht an den Teufel. Aber dieser Archetyp von Satan ist immer der Anprangernde, der Rebell, irgendwie wie der erste revolutionäre Gedanke. Also haben wir uns dieser Persona angenommen, und deshalb hat auch vieles unserer Sachen satanische Symbole und Bilder in sich. Also befasst sich die EP mit den vier Kronprinzen der vermeintlichen Hölle. Luzifer, Satan, Belial und Leviathan. Im Kern geht es uns darum, dass es eigentlich kein Gut und Böse gibt. Religionen wollen das immer nur für sich pachten, zu wissen was das ist. Der Teufel und Gott. Ich bin allerdings weder gut noch böse. Ich bin ein Mensch mit Fehlern, Ideen, Dingen die ich tue, mal gut, mal nicht so gut. Außerdem gibt es nun diese Gruppen-Ethik, die wir haben. Wir wissen, dass wir niemandem umbringen oder vergewaltigen sollen. Das tut unserer Spezies einfach nicht gut. Dazu benötige ich keinen Gott oder eine Religion, die mir das sagt. "Hive Mind", schrieb Simon in seinen Grundzügen, weil er erfahren hat wie ein enger Freund nach einem Drogen-Entzug zu Gott gefunden hatte. Und quasi eine Sucht mit der nächsten Sucht ersetzt hat. Deshalb ist das Ende dieses Songs auch so wütend, und macht Gott fertig. Weil diese kirchlichen Sachen wie ein Droge sind, die den Verstand der Menschen vernebeln, und diese Dinge früher oder später endlich mal verschwinden müssen. Sodass Menschen nicht von irgend etwas fremdgesteuert leben müssen."

MIM: Das ist verrückt. Genau so denke ich auch über Religion.

Nathan: "Ich sehe Religion als etwas böses an. Auch wenn ich nicht an Gut und Böse glaube. Wenn es das Böse gibt, dann sind es Religionen. Die halten Menschen vom Denken ab. Und wen man nicht nachdenkt wird man eingelullt und faul."

MIM: Es ist immer der einfache Rückzug in die Religion.

Nathan: "Es ist immer der einfache Ausweg. Und ich werde Leute aber nie dafür fertig machen, dass sie gläubig sind. Wenn sie nicht anfangen mir es auf zu zwingen. Wenn jemand an Gott glaubt und nur Gutes tun will. Macht mir das nichts aus. Aber dann frage ich mich halt warum machen die nicht einfach so gute Dinge? Wahrscheinlich sind sie sowieso schon gute Menschen. Aber wenn man wegen der Religion dann ein Problem hat, und das ist auch der Grund warum in dieser Band hier so viel meiner Wut raus kommt. Wie zum Beispiel, dass im verdammten Jahr Zweitausend-Fucking-Dreizehn in meinem Land [USA] gerade groß debattiert wird, ob die Homo-Ehe erlaubt sein darf. Wer hat denn verdammt nochmal das Recht, zu bestimmen was zwei Menschen tun dürfen, dass sie glücklich sein können? Keiner hat das Recht zwei Menschen davon abzuhalten glücklich miteinander zu sein. Man kann es sich doch als dritter eigentlich gar nicht rausnehmen über fremde Menschen eine Meinung zu haben. Das macht mich verdammt Wahnsinnig."

MIM: Da stimme ich vollkommen zu.

Nathan: "Und das ist dann Religion. Verdammter Bullshit. Religiöse Menschen denken immer sie könnten ihre Vorstellungen jedem überstülpen und haben zu jedem Scheiß ihre komische eigene Meinung, die es verbietet Menschen frei zu sein."

MIM: Also der Sinn im Leben, warum wir hier sind, ist einfach glücklich zu sein?

Nathan: "Natürlich. Denn warum sonst? Ich meine, das ist nicht wirklich der Sinn - da ist kein Sinn. Aber wenn wir schon einmal hier sind, warum machen wir dann nicht das Beste daraus? Jeder sollte nach dem persönlichen Glück streben und streben dürfen. Wer das nicht will der kann sich gleich ein Gewehr ins Gesicht stecken und sein Hirn rausjagen. Ich weiß das ist sehr drastisch formuliert. Aber, wenn man nicht hier sein will. Warum dann hier bleiben? Das Leben ist ein Kampf. Ein wunderbar schöner Kampf. Wir leben entweder in Freiheit oder im ständigen Streben nach Freiheit."

MIM: Vielen Dank für das Gespräch.

Nathan: "Danke Dir!"

Mehr zu Nathan Grays aktuellen Bandsfacebook.com/iamheresyboysetsfire.org

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