Vom wütenden Abstieg in die Tiefen der Seele. Circa Survive mit "Descensus".

Circa Survive aus Philadelphia. Fotoquelle: Promo/Sumerian Records
Der Abstieg ist ein langer Weg. Er ist negativ belegt, musikalisch jedoch schön inszeniert.

Circa Survive sind eine dieser Bands, die seit gut einer Dekade im Postcore unterwegs sind. 2004 gründete Frontmann Anthony Green die Band zusammen mit Freunden und Bekannten aus der Emo- und Punk-Szene in Philadelphia, Pennsylvania. Er suchte einen Ausweg aus dem Trubel des Musikbusiness. Seine andere Band Saosin war gerade im Begriff auf der neu aufbrandenden Emocore-Welle davon zu reiten. Ihm ging das damals alles zu schnell. Er sprang ab. Und lies es mit Circa Survive langsamer, und musikalisch auch geerdeter aber auch progressiver zugehen. Letzterer Punkt, das Progressive in der Musik von Circa Survive, das lies diese Band in den vergangenen zehn Jahren im steten Wandel dahinevolvieren.

War Juturna schon von Kritikern und Post-Emo-Fans gleichermaßen gefeiert, legte die Band nach dem Debüt mit jedem weiteren Release sukzessive an Klangebenen nach, und überbat sich selbst als an Raffinesse. Es spricht hier immer auch der kleine Fanboy in mir. Zu mindest wenn es um das zweite Album von Circa Survive geht. On Letting Go ist meines Erachtens eines der schillernsten, besten Alben, das es in der Musikwelt gibt. Alle Stilrichtungen der Popülärmusik inbegriffen. Von daher tat sich seither, nach dem 2007er Release, jedes weitere Werk dieser Band in meinen Ohren schwer. Doch jedes Album, das danach kam, konnte immer auch auf eine frische eigene Art begeistern. Es macht retrospektiv einfach Laune zu beobachten welche Facette der Band sich je Platte in den Vordergrund drängte. Immer eine andere. Bis heute. Blue Sky Noise strahlte eine Ungestümtheit aus, die Vorgänger mit Nachdenklichkeit kaschiert hatten. Violent Waves zeugte von Selbstbewusstsein und breitbeiniger Attitüde. Warum ich das alles von vorne aufrolle?

Das neue Album Descensus hat von all diesen Eigenschaften Artefakte. Setzt diese in einem Puzzle aus Klangwelten zu einem neuen progressiven Werk zusammen. Descensus, lateinisch für Abstieg, fängt ungestüm überheblich an. Überschlägt sich, überdenkt sich, stolpert, zerbricht in fragiler Nachdenklichkeit, rappelt sich zu guter Letzt ganz unten am Abrund auf. Kann sich aber nicht aus der Tiefe retten, taumelt, ergibt sich mit seinem letzten Song einer Lethargie. Diese Schritte macht die Platte in zehn Titeln unterschiedlicher länge, unterschiedlicher Tiefe. In vier Teile eingeteilt arbeitet Anthony Green und seine Band auf den Abgrund hin. Mit dem Song "Descensus", der als zehnter im Bunde jegliche Hoffnung zu ersticken scheint. Monotonie macht sich breit am Ende des Albums. Nur vereinzelt durch Lichtstrahlen zersetzt.

Aufmüpfige Aggression mündet in Resignation, die nach einem neunminütigen Song zu allem Ende, abrupt verstummt. Ein Album, das zum nachdenken anregt. Das aggressivste Werk in der bisweilen fünfteiligen Diskographie (die EPs ausgelassen) von Circa Survive. Aber auch das negativste. Ein großes Album, das vor allem dann mit einem etwas anstellt, wenn man sich darauf einlässt. In voller Lautstärke. "Child of The Desert", der Zweite Song auf der Platte, ist außerdem mit das beste Stück Musik, das die Band bisher veröffentlicht hat.

In den USA haben Circa Survive mittlerweile Saosin schon längst überflügelt. Ein familiär geerdeter Anthony Green scheint damit nun auch wunderbar zurecht zu kommen, wenn man im Internet stöbert macht es den Anschein. Würde ich ihn nur liebend gerne fragen, warum Descensus mich mit so einem negativen Gefühl zurück lässt. Ist das eine Masche? Dass ich gleich wieder zum Opener "Schema" springe, um wütend aggressiv gebeutelt zu werden, und alle Etappen erneut durchleben möchte? Dieser Absieg ist ein Strudel, mit Endlosschleifen-Qualität.


Circa Survive - "Descensus"
VÖ: 05.12.2014
via: Rykodisc (Warner) / Sumerian Records

Mehrcircasurvive.com






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