Kein Liebesbrief an die Bahn.


Dortmund, der Regional Express nach Bielefeld fährt ein. Er ist bis zur Türschwelle mit mittelmäßig gelaunten Passagieren gefüllt. Mein Blick erhascht freie Sitzplätze. Ein ganzes Abteil, quasi leer. Mein verwirrtes Gesicht traut den beherbergten Augen nicht mehr. Sie bewegen meine Füße förmlich in hypnotischer Selbstständigkeit in Richtung des menschenbefreiten Abteils. Eine Treppe bäumt sich vor mir und meinen versammelten Körperteilen auf und separiert mich von meinem Ziel.
Da ertappt mein müdes Sehorgan den Haken. Eine dicke, fette Eins prangt auf der Plexiglasscheibe vor dem paradiesisch leeren Sitzgelegenheiten.

Aber nun bin ich schon die Treppe emporgestiegen. Also lasse ich mich enttäuscht vor der transparenten Trennwand am oberen Ende der Treppe nieder. Einige der anderen müden Zugpassagiere tun es mir gleich. Weit und breit scheint kein Platz mehr frei zu sein. Nur hinter dieser vermaledeiten Glastür. Aber wer kaufte schon ein Erste-Klasse-Ticket für einen Regional-Zug? Genau, niemand. Deshalb ist das Abteil auch leer. Und der Rest des Zuges überfüllt. Pervers, denke ich mir im Stillen. Wir pferchen uns hier wie artfremd gehaltene Hühner in die Zwischenräume eines Bahnwagons, und die teuren Plätze, die über unserer Preiskategorie, bleiben ungenutzt. Aber nun ja. Ich setze also meine Kopfhörer auf und flüchte in die Welt beruhigender Rock-Musik.

Wenige Minuten später bemerke ich einen kleinen, ründlichen Mann in Uniform, der sich durch die Menschentierhaltekäfige zu wühlen scheint. Immer wieder "die Fahrscheine bitte" sagend. Nun jedoch kommt er zu unserer Treppe. "Haben sie erste Klasse Tickets?" fragt er. Ein Mann schreit auf "was!?" und der gute Mann in Uniform wiederholt seine zuvor gestellte Frage in einem etwas lauteren Volumen. "Wir sitzen hier auf einer Treppe" sagt der andere Mann. "Das hier ist die erste Klasse, wenn Sie kein Erste-Klasse-Ticket haben, gehen Sie bitte in einen Zweite-Klasse-Wagon." Sagt der Mann in der Uniform. "Eine Erste-Klasse-Treppe?" Sagt der andere Mann. "Ja." Sagt der Uniformierte. "Eine richtig gute Treppe also?!" Fragt der andere Mann wieder. "Ja, das ist eine Erste-Klasse-Treppe." Sagt der uniformierte, dicke, kleine Mann. Ich sage "das ist doch pervers" und gehe weiter, in das nächste Abteil.

Kein Platz. Und immer weiter. Zwei Wagons später entdecke ich einen fast leeren Abteil. Eine große Zwei prangt über allem. Ich nehme Platz und denke mir, hätte uns das der kleine, dicke, ründliche Mann in der Bahn-Uniform gerade eben nicht sagen können?

Deshalb schreibe ich keinen Liebesbrief an die Deutsche Bahn.

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